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© VVN-BdA Stade
2004
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Die Tat
Am 19. Mai 1999 überfielen acht Männer die
Flüchtlingswohnung in Kutenholz-Aspe (Landkreis Stade). Drei
der vier im ersten Stock des Hauses lebenden Flüchtlinge konnten sich
durch einen Sprung aus dem Fenster retten, ein weiterer Flüchtling
versteckte sich im Haus. Die Täter demolierten die Wohnungseinrichtung
und zerschlugen die Fenster des Hauses. Eine im Erdgeschoss lebende Frau
wurde mit einer Waffe bedroht, ebenfalls ein zuhilfe kommender Nachbar. Ein
Anwohner konnte sich die Nummer eines der Täterwagen merken. Die ersten
Täter wurden noch in der Nacht festgenommen.
Die Opfer
Es sind Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Sierra Leone, die
hier Asyl beantragt haben. Sie fürchteten während des Überfalls
um ihr Leben und konnten sich nur durch verstecken und durch Flucht aus dem
Fenster (im ersten Stock) retten. Nach der Tat wurde ihnen eine Wohnung in
einem anderen Ort des Landkreises Stade zugewiesen. Nach eigenen Angaben
haben sie für die zerstörten privaten Gegenstände keinen
Schadenersatz bekommen.
Das Umfeld
Eine Jugendgang trat bis vor einigen Jahren gewaltbereit in Kutenholz auf.
Einer der Täter war Mitglied dieser Clique, die »Bomber« genannt
wurden. Zehn Tage vor dem Überfall wurden in Kutenholz bei einer anderen
Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo die Fensterscheiben eingeworfen. Mehrmals
vorher waren schon unbekannte Männer auf den Hof gefahren und hatten
Parolen wie »Ausländer raus« gegrölt. In der
Flüchtlingswohnung in Kutenholz-Aspe wurden einige Tage vor der
späteren Tat bereits Fenster eingeworfen und die Wände beschmiert.
An dieser Tat war mindestens einer der späteren Täter beteiligt.
Die Flüchtlinge aus Sierra Leone erhielten auch eine mündliche
Warnung, dass sie den Ort verlassen sollten, sonst würde es ihnen schlecht
ergehen. Die Vorkommnisse wurden alle der Polizei gemeldet. Nach der Tat
kam es zu weiteren fremdenfeindlichen Pöbeleien in Kutenholz.
Reaktionen im Dorf
Unmittelbar nach dem Anschlag trat der örtliche »Runde Tisch«
(Zusammenschluss von Kutenholzer Vereinen, Verbänden und der
Kirchengemeinde) mit Aktionen an die Öffentlichkeit. In einer aufmerksamen
Nachbarschaft hätten »feige Gewalttäter es schwer«. Gelbe
Bänder in den Birkenbäumen, die zu Pfingsten aufgestellt werden,
sollen symbolisieren, »dass hier jemand zu Hause ist, der dieses
rechtsradikale Chaotentum ablehnt«. Die Schleifenaktion wurde als Aktion
gegen das Vergessen im Mai 2000, ein Jahr nach dem Überfall, wiederholt.
Der Prozess
Im Mai 2000 fand, nachdem schon vorher die drei minderjährigen
Täter unter Auschluss der Öffentlichkeit vor dem Jugendgericht
verurteilt wurden, der Prozess gegen fünf volljährige Täter
in Stade statt. Alle Täter waren geständig, gaben eigenen Tatanteil
zu, konnten sich angeblich aber nicht an ein spezielles Auftreten der jeweils
Anderen erinnern. Die Tat sei spontan aus der Gruppe heraus entstanden, einen
Anführer habe es nicht gegeben, und es habe die Absprache gegeben, lediglich
Sachbeschädigung zu machen. Die mitgeführten Schlaginstrumente
(Baseballschläger und Latten) hätte man zufälligerweise
dabeigehabt. Auslöser des Überfalls sollte eine Auseinandersetzung
gewesen sein, die Marcus M. tagsüber mit den Flüchtlingen
gehabt hätte. M. - er wurde schon vom Jugendgericht verurteilt - bedrohte
während des Überfalls eine Anwohnerin mit einer Waffe. Im Gericht
trug er einen großen schwarz-weiß-roten Aufnäher mit der
Inschrift »Kameradschaft Elbe-Weser«.
Staatsanwaltschaft und Gericht gingen nicht von einer spontanen, unorganisierten
Tat aus. Drei der Angeklagten erhielten eine neunmonatige Strafe mit
Bewährung verbunden mit Geldstrafe, ein Angeklagter wurde zu fünfzehn
Monaten Strafe auf Bewährung und Geldstrafe verurteilt. Er war früher
schon in Kutenholz als »Bomber« aufgefallen. Die Gerichtskosten
müssen von den vier Tätern getragen werden. In Lars
Hildebrandt sah das Gericht den heimlichen Anführer und er wurde
zu einer Haftstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung verurteilt. In einem
»Standpunkt« zum Prozess schrieb die Bremervörder Zeitung
am 2. Juni 2000: »Das Geschehen im Saal 109 des Amtsgerichts dominierten
die Täter. Ihre Perspektive zählte, ihre Sprüche bleiben in
Erinnerung - nicht jedoch das Leiden der Opfer. Ihre Todesangst kam nicht
zur Sprache, ihre Verletzungen nach dem Sprung aus dem Fenster waren kein
Thema.«
Der »Rädelsführer«
Bereits einige Tage vor dem Überfall hatte Hildebrandt das Haus mit
der Flüchtlingswohnung beschmiert und Fenster eingeworfen. Auf sein
Motiv angesprochen sagte er knapp »Fremdenhass«. Der jetzt
22-jährige Hildebrandt gilt laut Bremervörder Zeitung als
»geistiger Anführer der Bremervörder Skinheadszene«.
Zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Flüchtlingswohnung in
Kutenholz-Aspe war er Mitglied der NPD. Hildebrandt war schon im Oktober
1996 verantwortlich für einen Überfall auf den kirchlichen Jugendtreff
»Sky« in Gnarrenburg. Die Verurteilung zu einer 15-monatigen
Jugendstrafe auf Bewährung für diese Tat wurde erst im Frühjahr
2000 rechtskräftig. Hildebrandt trat häufig provokant auf, so bot
er z. B. der Leiterin der Bremervörder Jugendbegegnungsstätte Schutz
vor »kriminellen Ausländern« an. Im Anschluss an eine Party,
die Hildebrandt in seiner damaligen Wohnung in Zeven gab, kam es im
November 1999 zu Ausschreitungen, bei denen etwa 20 Leute unter anderem eine
Polizeiwache angriffen. Mit Hinweis auf eine günstige
»Sozialprognose« versuchte der Verteidiger von Hildebrandt eine
Haftstrafe für den Überfall von Kutenholz-Aspe abzuwenden.
Gewaltige Schläge - Neonazi
verprügelt
Harburger Rundschau (Hamburger Abendblatt)
13.3.2001
(...) Als Opfer erschien Lars H. vor
dem Stader Amtsgericht. (...) In der Nacht des 10. Juni 2000 steckte
Lars H. selbst Schläge ein, die sein Jochbein brachen, weshalb er seither
eine Metallplatte unter dem linken Auge trägt. Tatort war ein kirchliches
Jugendzentrum in Stade-Hahle, das Lars H. häufiger heimsuchte,
um für seine rassistischen Ideale zu werben. Dabei zeigte er auch stolz
das auf seinem Rücken tätowierte Hakenkreuz. Über den Ablauf
des Geschehens erhielt das Gericht nur verworrene und auch gelogene Aussagen.
Das Opfer selbst gab an, sich an nichts mehr zu erinnern. Der Angeklagte
Andy S. (26) gestand unumwunden zwei kräftige Faustschläge ins
Gesicht von Lars H., der davon umkippte. Anlass sollen dessen Nazi-Sprüche
gewesen sein. Ob Andy S. noch nachgetreten hat, ob Lars H. bewusstlos am
Boden lag und wie lange, wer überhaupt zugegen war und das Geschehen
beobachtete - das blieb im Dunkeln. Im Prozess zum Kutenholzer Überfall
hatte das NPD-Mitglied Lars H. behauptet, sich mittlerweile von der rechten
Szene distanziert zu haben. Eine Einlassung, der die Staatsanwaltschaft damals
mangels Erkenntnissen nichts entgegen zu setzen hatte. Das war zehn Tage
vor Vorfall im Jugendzentrum, bei dem Lars H. wie gewohnt rechte Agitation
betrieb. Hartnäckige Gerüchte, bei den Faustschlägen für
ihn habe es sich um eine Abreibung für seine feige Abkehr von den
Gesinnungsgenossen im Kutenholz-Prozess gehandelt, wurden durch die
Beweisaufnahme nicht entkräftet. Juristisch ist der Fall erledigt: Vier
Monate Haft für den Angeklagten, die auf drei Jahre zur Bewährung
ausgesetzt werden; außerdem 2000 Mark Geldstrafe und 1500 Mark
Schmerzensgeld an Lars H. Die Fragen zum politischen Hintergrund der Tat
bleiben offen.
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Türke per Internet zu Skinhead-Party gelockt
Am 19. Februar 2000 fand bei Lars Hildebrandts Gesinnungsgenossen
Nico S. in Neuenkirchen eine Skinhead-Party statt. Eingeladen war
auch ein 28-jähriger Türke aus dem Raum Hannover. Er hatte auf
eine Kontaktanzeige im Internet geantwortet: »Deutsches Mädchen
sucht ausländischen Freund«. Wer auf die Idee mit dem Internet
kam und was mit dem Überraschungsgast geschehen sollte, nachdem man
ihn am Bahnhof Horneburg abgeholt hatte, konnte die Staatsanwaltschaft offenbar
nicht ermitteln.
Am Ende jedenfalls hatte der Türke ein gebrochenes Nasenbein und floh
mit Hilfe eines Autos, das er auf der Straße anhielt. Zwei beteiligte
Jugendliche wurden schon im Sommer 2000 vom Amtsgericht Buxtehude zu Jugendarrest
verurteilt. Im März 2001 mussten sich Strafhäftling Lars
Hildebrandt und der 23-jährige Robert S. vor dem Amtsgericht Stade
verantworten.
Auch Robert S. ist mehrfach im Raum Winsen als Neonazi aufgefallen und war
zur Tatzeit auf der Flucht vor der Polizei in Neuenkirchen untergetaucht.
Er verbüßte zum Zeitpunkt des Prozesses eine 15-monatige Haftstrafe
wegen Körperverletzung.
Lars Hildebrandt behauptete, er habe dem Türken lediglich geraten, von
der Party zu verschwinden und ihm, »um dieser Aufforderung Nachdruck
zu verleihen«, eine Ohrfeige gegeben. Sein Mandant habe das Opfer
»schützen wollen«, sekundierte Hildebrandts Anwalt.
Robert S. gab sich als ein eben solches Unschuldslamm. Auch er habe es gut
gemeint mit dem ungeliebten Gast und ihn mehrfach zum Gehen aufgefordert.
Als allerdings der bereits verurteilte 18-jährige Michael L. vor dem
Haus auf den Türken einprügelte, habe er sich daran beteiligt und
auch mit den Füßen auf den am Boden Liegenden eingetreten. Ansonsten
stimmten die Aussagen von Angeklagten und Zeugen in keinem Punkt überein.
Zeuge Michael L. machte aus seinen Anschauungen keinen Hehl. Auf die Frage
des Richters, ob der Türke ihm etwas getan habe, antwortete er: »Der
ist Ausländer, das reicht mir.« L. hatte am Holocaust-Gedenktag
2000 in Horneburg Hakenkreuze und SS-Runen an Hauswände geschmiert.
»Ich finde das widerlich«, kommentierte der Richter das Geschehen
in Neuenkirchen und attestierte den Angeklagten »dumpfen
Ausländerhass«. Er hob hervor, dass das Opfer sich arglos auf die
Party begeben habe und in feindlicher Umgebung Todesängste ausstehen
musste. Sein Urteil: zehn Monate Haft für Hildebrandt, 15 Monate für
Robert S.
Strafnachlass für einen
Neonazi
Neues Deutschland 21.12.2001
(...) Lars Hildebrandt hat seine Richter
wieder einmal erfolgreich genarrt. Im Dezember 2001 erhielt der
prominenteste Neonazi der Elbe/Weser-Region einen Strafnachlass erhalten
für etwas, weswegen er nie verurteilt wurde. Jahrelang hat die Justiz
den 24-Jährigen als gewöhnlichen Rowdy behandelt. Die von ihm geleitete
Attacke auf ein Jugendzentrum 1996, der von seinen Kumpanen verübte
Angriff auf eine Polizeiwache, der Überfall auf ein Asylbewerberheim
1999 und schließlich die Verletzung eines Türken, der per Internet
im Februar 2000 als Hauptattraktion zu einer Skinhead-Party gelockt worden
war - in jedem Fall haben die Gerichte den offenkundigen rechtsradikalen
Hintergrund nicht untersucht und nicht in die Beurteilung der Tat
einfließen lassen. Hildebrandt ist stets nur als »Rabauke«,
nie als Neonazi verurteilt worden - zu insgesamt 26 Monaten, von denen ihm
zwei geschenkt wurden - weil er kein Neonazi mehr sein will. Dass er sich
von der Szene abgekehrt habe, hatte Hildebrandt bereits im Prozess um den
Überfall auf das Asylbewerberheim in Kutenholz-Aspe behauptet. Was ihn
nicht davon abhielt, aus der Haft heraus Briefe mit antisemitischem und
rassistischem Inhalt zu schreiben. Allerdings nahmen seine Gesinnungsfreunde
ihm die Feigheit übel und schlugen ihn zehn Tage nach dem Prozess zusammen.
Auch hier unterließ es die Justiz, genauer nachzuforschen. Zu der
Verhandlung, in der er seine Läuterung erneut darlegte, erschien Hildebrandt
in einem T-Shirt mit dem Aufdruck »Lonsdale«. Der
Buchstabenfolge »NSDA« wegen gilt diese Marke unter Neonazis als
legales Erkennungszeichen. Nur die Justizbeamten am Landgericht Stade konnten
oder wollten diese Verhöhnung nicht erkennen. (...) Er habe auch nie
einer Skinhead-Gruppe angehört, behauptete der reuige Rechte. Und kam
damit durch, denn von den mehreren Skinhead-Gruppen, die er in der Region
initiierte, war ja schon in den vorangegangenen Verfahren nie die Rede. So
wenig wie von seiner NPD-Mitgliedschaft, über die der Verfassungsschutz
sehr wohl im Bilde war. Bei denen aber hatte sich nie ein Vertreter der
Staatsanwaltschaft erkundigt. (...) Es beruhe auf seinen Erfahrungen mit
Ausländern, dass er Neonazi geworden sei, erläuterte Hildebrandt
seinen verständnisvollen Richtern. Seine ausländischen Mitschüler
»taten sich schwer, meine politischen Ansichten zu akzeptieren«.
Gäbe es keine Ausländer, so die Logik dieser Läuterung, gäbe
es auch keine Neonazis. Was mit dem Hakenkreuz werden soll, dass er auf dem
Rücken tätowiert hat, wurde Hildebrandt selbstverständlich
nicht gefragt, denn auch davon will die Justiz nichts wissen.
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Neonazi bekommt dritte
Bewährung
Harburger Rundschau (Hamburger Abendblatt)
19.2.2002
»Wir wollten in Ruhe wegfahren, aber das
hat denen wohl nicht gereicht«, fasst eine Zeugin den Vorfall vom Mai
2001 zusammen, der im Februar 2002 ein Nachspiel vor dem
Jugendschöffengericht in Stade hatte. Die Russlanddeutschen, die einen
Geburtstag feierten, hatten vor den Provokationen von wenigstens 20 Neonazis
aus dem gesamten Elbe-Weser-Raum, die sich ebenfalls am Fredenbecker
Badesee aufhielten, bereits kapituliert. Auf das letzte Auto, dessen
Fahrerin vor Aufregung den Motor abgewürgt hatte, stürzte einer
der Neonazis zu und sprühte durch das Schiebedach einem Insassen CS-Gas
ins Gesicht. Der Angegriffene wehrte sich; mit Zeltstangen und brennenden
Holzscheiten bewaffnet rückten die Neonazis vor. »Ein Glück,
dass Eugen G. so beherzt vorgegangen ist«, kommentierte der Richter
das Verhalten des 25-jährigen Deutschrussen, der eine Axt über
dem Kopf schwingend die Glatzen in Schach hielt, bis die Polizei eintraf.
Für die Gas-Attacke auf der Anklagebank saß Marcus M. Der
19-Jährige hat ein Jahr und zehn Monate zur Bewährung ausgesetzter
Haft auf seinem Konto. Er gehörte zu denen, die im Mai 1999 das
Asylbewerberheim in Kutenholz überfielen. Weil ihm ein Widerruf der
Bewährung und mehr als zwei Jahre Haft drohten, wollten seine Kameraden
ihn raushauen, indem sie einen anderen aus ihren Reihen, der nicht vorbestraft
ist, als Täter präsentierten. Als sich abzeichnete, dass das Gericht
auf dieses »Aussage-Komplott« nicht hereinfallen würde, bequemte
sich M. doch noch zu einem Geständnis. Und das ist strafmildernd, auch
wenn es in letzter Minute erfolgt. Der Richter gab nochmals drei Jahre
Bewährung auf die acht Monate, zu denen er M. verurteilte. Außerdem
muss der junge Mann 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten und 400
Euro an sein Opfer zahlen.
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Angeklagte zeigten sich nicht
einsichtig
Osterholzer Kreisblatt (Weser-Kurier)
14.9.2002
(Vor dem Amtsgericht Stade
wird der Skinhead-Überfall auf eine Geburtstagsfeier am 28. Oktober
2000 in Osterholz-Scharmbeck verhandelt. Angeklagt sind der
20-jährige Stefan S. und sein 18-jähriger Bruder Olaf. Wegen anderer
neonazistischer Straftaten verbüßt Stefan S. bereits eine
Haftstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten.)
(...) Während der ganzen
dreistündigen Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht in
Stade grinsen und kichern die beiden Angeklagten und begleiten die
Zeugenaussagen mit verächtlichen Gesten. Auch ihr familiärer Anhang
im Zuschauerraum scheint seinen Spaß zu haben. (...) Im Gefängnis,
lässt Stefan S. durch seinen Verteidiger erklären, nehme er an
einem Programm für Aussteiger aus der Neonazi-Szene teil. Wie sein Verhalten
im Prozess zeigt, hat das bislang nicht viel gefruchtet. Gefragt, warum er
kein Skinhead mehr sein wolle, fällt ihm nur ein: »Keine Lust mehr
darauf«. Als Aussteiger, setzt er hinzu, habe er im Knast Ärger
bekommen mit seinem gleichfalls einsitzenden ehemaligen
»Führer« Lars Hildebrandt. Der 25-Jährige ist
der prominenteste Neonazi der Elbe/Weser-Region und verantwortlich unter
anderem für den Überfall auf ein Asylbewerberheim in Kutenholz
im Landkreis Stade im Mai 1999. Zuletzt wurde er verurteilt, weil er per
Internet einen Türken zu einer Skinhead-Party im Alten Land gelockt
hatte, wo dieser verprügelt wurde. Wie jetzt seinem Gefolgsmann war
Hildebrandt bei seinen Verurteilungen durch das Stader Gericht immer wieder
strafmildernd zu Gute gehalten worden, dass er seine Abkehr von der rechten
Szene bekundet hatte.
*
Wie aus Kindern Neonazis
wurden
Eine Mutter zweier verurteilter Brüder
berichtet
Stader Tageblatt 28.9.2002
(...) Minderwertigkeitsgefühle wegen massiver
schulischer Probleme waren aus ihrer Rückschau die Voraussetzung,
dafür, dass ein orts- und gerichtsbekannter Neonazi über
ihre beiden Jungen Macht bekommen konnte. In einem einzigen
Gesprächsversuch, erinnert sich die Mutter, habe der ihr »rhetorisch
brillant« seine verworrene Ideologie vorgetragen. Ihre Söhne habe
er damit beeindrucken können. Dann habe er sie »geschult, dressiert,
gedrillt, dabei Hass geschürt und ein Gefühl von Stärke
forciert«. Sozialarbeiter und Pfarrer hätten aus Angst tatenlos
zugeschaut, erinnert sich die Mutter. (...) Ein bisschen tröstet (die
Mutter), »dass es kein Einzelfall ist«.
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Lars Hildebrandt wurde im Februar 2002 vorzeitig aus der JVA
Vechta entlassen. Schon im April wurde er wieder straffällig.
Am 11. April 2002 berichtete eine Zeitung in Hannover über die
Schändung des Mahnmals, das an das KZ-Außenlager Ahlem erinnert:
»Mitarbeiter der Stadt endeckten
die Tat gestern Mittag unmittelbar vor Beginn eines Gedenkgottesdienstes
für die Opfer des KZ-Außenlagers, zu dem auch ein ehemaliger
Häftling aus Israel angereist war. Die Polizei ermittelt wegen
Volksverhetzung und
Sachbeschädigung.«
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Hildebrandt hatte die Schändung vorbereitet. Drei Jugendliche im Alter
von 15 bis 17 Jahren hatten
»Auschwitz-Lüge«,
»Judas
verrecke«,
»Solidarität mit
Palästina« auf die Kupferplatten
geschrieben, die die Namen von 294 zu Tode gekommenen Häftlingen des
Lagers tragen; auf die Mauern des Mahnmals klebten sie DIN/A-4-große
Zettel mit SS-Runen, Hakenkreuzen und der Adresse der
»NSDAP-Aufbauorganisation«
des US-Neonazis Gary Lauck.
Die Täter wurden im Juni 2002 festgenommen. Im Januar 2003
wurde ihnen der Prozess gemacht, über den die Hannoversche Allgemeine
Zeitung (HAZ) berichtete:
»Die Einzelheiten wurden offenbar
in der Wohnung des 25-jährigen Lars H. besprochen, der, wie er sagt,
bei der Stadt Seelze angestellt ist. Ihm gehören die Disketten mit dem
Propaganda-Material, die dem 17-Jährigen als Vorlage für die
Hakenkreuz-Plakate dienten. Offenbar besorgte er zudem den Stift mit dem
der dritte Jugendliche Parolen (...) auf das Mahnmal geschmiert haben soll.
Der Angeklagte aus Seelze erklärte, er habe mit dem Anschlag nichts
zu tun. Erst im Frühjahr sei er aus der Haft gekommen und habe ständig
Ärger mit dem Staatsschutz.«
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Lars Hildebrandt bekannte sich im Prozess zu einer
»patriotischen
Einstellung«.
Über das Urteil vermeldete die HAZ am 16. Januar 2003:
»Dem mehrmals vorbestraften
25-jährigen Mitangeklagten, der den Kleister für die Plakate
angerührt hatte, aber nicht mit zum Mahnmal gefahren war, wurde Beihilfe
angelastet. Von ihm stammen die Vorlagen für die Plakate. Er muss 4800
Euro Geldstrafe zahlen - auch weil er Jugendlichen volksverhetzende Schriften
überlassen hatte. Der Staatsanwalt hatte acht Monate Haft gefordert,
der Verteidiger Freispruch.«
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„Meine Ziele sind dieselben und ich verfolge sie mit
der gleichen Hingabe wie früher.“
Lars Hildebrandt
wohnte 2005, nachdem er zeitweilig in Sachsen-Anhalt lebte, in einer Großstadt
in Nordrhein-Westfalen. Er bemühte sich dort um Kontakte zur regionalen
Neonaziszene. Im Oktober 2005 vermeldete die neonazistische Kameradschaft
Aachener Land (KAL) Hildebrandts Auftritt bei einer von der KAL organisierten Veranstaltung.
mehr:
Hildebrandt tritt unter den Namen „zogsux“ in Internetforen
und als Musiker in Erscheinung. „ZOG“ („Zionist Occupied Government“) ist ein
neonazistisches antisemitisches Kürzel und „Sux“ ist vom englischen Schimpfwort
„Sucks“ abgeleitet.
Hildebrandt alias „zogsux“ schrieb auf einer ihm
zugeordneten Homepage:
„Die letzten beiden Male im Knast waren für mich wirklich
hart ... und haben mich geprägt. Ich bin ein besserer Mensch geworden und bin
gewaltbereiter, als je zuvor ...
Meine Ziele sind dieselben und ich verfolge sie mit der
gleichen Hingabe wie früher.“
Ende Februar 2006 bekam die VVN-BdA Stade eine e-mail von
Lars Hildebrandt mit dem Absender „zogsux“:
Betreff: DAS
WARS!!!
„...., du beschissener Antifaschist!!!
...noch eine miese hetze oder lüge kommt entweder über deine
lippen oder fliesst irgendwie aus deinen fingern raus und ich bin schneller in
niedersachsen als du „neue identität“ aussprechen kannst!!! haben wir uns verstanden?!?
...“.
(gegen Hildebrandt wurde ein Strafantrag wegen der e-mail
gestellt)
Im März 2006 veröffentlicht „ZOG Sux“ eine erste CD mit dem
Titel: „Weisse Brüder“ bei
Whitenoise-Records („der nationale Versand mit sozialistischen Preisen“) in Lahnau.
Die
Staatsanwaltschaft Aachen hat im Juni 2006 das Ermittlungsverfahren gegen Lars
Hildebrandt (Tatvorwurf: Beleidigung) gemäß § 154 Abs. 1 der
Strafprozessordnung eingestellt. Die Staatsanwaltschaft schrieb am 6. Juni
2006:
„Nach dieser Vorschrift kann der
Staatsanwalt von der Verfolgung einer Straftat absehen, wenn die wegen der
angezeigten Tat zu erwartende Strafe neben einer anderen bereits verhängten
oder zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht
beträchtlich ins Gewicht fällt.
Diese Voraussetzung
ist im vorliegenden Fall erfüllt. In einem anderen anhängigen Verfahren ist
eine Verurteilung zu einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zu
erwarten.“
Lars
Hildebrandt (ZOGSux) trat am 6. Januar 2007 bei einem Nazikonzert in Neufeld
(Schleswig-Holstein) auf, das von der „Nationalen Aktionsfront Dithmarschen“
veranstaltet wurde. Hildebrandt lebt mittlerweile in dem nördlichen
Bundesland.
Stand: März 2007
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