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Opfer der »Euthanasieaktionen« aus dem Landkreis Stade


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© VVN-BdA Stade 2003


Im Herbst 1939 begannen im Deutschen Reich und in den besetzten Ostgebieten die systematischen Tötungen von psychisch Kranken und Behinderten. In den darauf folgenden Jahren bis 1945 wurden im Rahmen der »Euthanasieaktionen« über 300.000 Menschen durch Gas, Nahrungsmittelentzug, Massenerschießungen, Medikamentenüberdosierungen und Verweigerung von Pflege ermordet.

Grundlage der Morde war ein formloses Geheimschreiben Hitlers, das zum Töten »ermächtigte«. Ideologisch vorbereitet waren die Tötungen durch jahrelange nationalsozialistische Propaganda, die rassepolitische und ökonomische Erwägungen in den Vordergrund stellte.

Kaum einer der beteiligten Juristen, Ärzte, Verwaltungsbeamten und Pflegekräfte weigerte sich in den nächsten Jahre bei den »Euthanasieaktionen« mitzumachen.

Die größte kirchliche Einrichtung für Behinderte in der damaligen preußischen Provinz Hannover, zu der auch Stade gehörte, waren die Rotenburger Anstalten. In den Rotenburger Anstalten hatten viele Familien aus dem Landkreis Stade ihre behinderten Angehörigen untergebracht, da es dort sowohl Pflege und Betreuung, als auch Schul- und Arbeitsmöglichkeiten gab.

Im Herbst 1940 wurden zwangsweise ein jüdisches Mädchen und zwei jüdische Männer aus den Rotenburger Anstalten verlegt. Im Sommer und Herbst 1941 wurden dann weitere 824 Männer, Frauen und Kinder in vorrangig staatliche Landesheilanstalten deportiert. Dort wurden bis 1945 fast 600 der Verlegten im Rahmen der »Euthanasieaktionen« getötet wurden. Bei 35 von ihnen war als Geburtsort bzw. als letzter Wohnort eine Stadt oder Gemeinde im Landkreis Stade angegeben.

Zu den Getöteten gehörte auch Frau R. aus Stade. Sie war an Multipler Sklerose erkrankt und befand sich zur Pflege in den Rotenburger Anstalten. Ihr Sohn besuchte sie noch im Juli 1941 in Rotenburg und erlebte sie »geistig und körperlich gut zu Wege«. Im August 1941 musste Frau R. in die Landesheilanstalt Weilmünster verlegt werden und starb dort kurze Zeit später. Herr R. fuhr, nachdem er die Todesnachricht erhalten hatte, nach Weilmünster um Näheres über den Tod seiner Mutter zu erfahren. Nach Kriegsende gab er zu Protokoll: »Auf dem Wege dorthin traf ich auf einem Umsteigebahnhof mit Eingesessenen zusammen und entnahm den, mit diesen geführten Gesprächen, dass über die Anstalt Weilmünster unter der Bevölkerung allgemein bekannt war, dass die Insassen in dieser Anstalt nicht lange am Leben blieben. Zuletzt gelang es mir durch einen Angestellten des Büros Auskunft über den Tod meiner Mutter zu erhalten. Als Todesursache wurde allgemeine Körperschwäche angegeben. (...) Das Grab wurde mir zwar gezeigt, aber ich hatte den Eindruck, dass der Betreffende selbst nicht genau wusste, um welches Grab es sich handelte (...) Die ganze Behandlung des Todesfalles machte auf mich den Eindruck, dass der Tod nicht auf natürliche Art und Weise eingetreten war.«

Behinderte Kinder wurden im Rahmen der »Euthanasieaktionen« in sogenannten »Kinderfachabteilungen« ermordet. Die für die Provinz Hannover zuständige Abteilung wurde 1941 in der Landesheilanstalt Lüneburg eingerichtet. Bis 1945 wurden hier über 300 Kinder getötet. In Lüneburg starben zehn Kinder aus den Rotenburger Anstalten die ihre Angehörigen im Landkreis Stade hatten, weitere fünf Kinder wurden direkt aus dem Landkreis Stade in diese »Kinderfachabteilung« eingewiesen und getötet. Zu den in Lüneburg Getöteten gehörten der neunjährige Klaus aus Stade, der zwölfjährige Heinz und die sechsjährige Hilde, beide aus Stade-Bützfleth.

In Krummendeich befand sich eine kleine Einrichtung für insgesamt 15 Männer und Frauen. Sie wurde wahlweise als Versorgungsheim, Gemeinde- oder Armenhaus bezeichnet. Zu Beginn des Jahres 1943 starb der Verwalter der Einrichtung und sie wurde aufgelöst. Auf Vorschlag des Bürgermeisters von Krummendeich sollten fünf oder sechs der Bewohner in das Alten- und Pflegeheim Drochtersen verlegt werden, die anderen in die Landesheilanstalt Lüneburg.

Männer und Frauen aus Krummendeich gehörten zu einem Transport der am 8.9.1943 Lüneburg verließ. Zielort war die Landesheilanstalt Pfafferode (Thüringen) in der bis Kriegsende im Rahmen der »Euthanasieaktionen« gemordet wurde. Die Verlegung aus Lüneburg geschah »auf höhere Veranlassung zwecks Freimachung von Plätzen«. Nachweislich neun Männer und Frauen aus dem Landkreis Stade waren unter den Verlegten. Sie starben alle in der Landesheilanstalt Pfafferode.

Die Anzahl der Männer, Frauen und Kinder aus dem Landkreis Stade, die in den verschiedenen »Euthanasieaktionen« ermordet wurden, ist zur Zeit noch nicht genau feststellbar. Auch ein »normaler« Tod in den Landesheilanstalten hatte häufig seine Ursache in einer gewollten Unterversorgung und Vernachlässigung der Patienten oder in einer Medikamentenüberdosis. So starben allein in der Landesheilanstalt Lüneburg in den Jahren 1939 - 1945 mindestens 21 Männer und Frauen aus dem Landkreis Stade, die direkt in dieses psychatrische Krankenhaus eingeliefert wurden. Die in Archiven und Landeskrankenhäusern vorhandenen Akten sind häufig lückenhaft und der genaue Verbleib von Kranken und Behinderten bleibt manchmal ungeklärt, wie z.B. bei einer erkrankten polnischen Zwangsarbeiterin aus Harsefeld die 1944 »in eine Anstalt des Ostens deren Anschrift ... nicht bekannt ist« überführt wurde.

Mindestens 59 Männer, Frauen und Kinder aus dem Landkreis Stade sind nach neuesten Forschungsergebnissen im Rahmen der verschiedenen »Euthanasieaktionen« ermordet worden. Sie kamen aus:

  • Ahlerstedt

  • Assel

  • Asselermoor

  • Balje

  • Breitenwisch

  • Bützfleth

  • Buxtehude

  • Deinste

  • Dornbusch

  • Estebrügge

  • Freiburg/Elbe

  • Gunderhandviertel

  • Grünendeich

  • Hagen

  • Hamelwördenermoor

  • Helmste

  • Himmelpforten

  • Hollern

  • Horneburg

  • Jork

  • Kakerbeck

  • Kutenholz

  • Lühe

  • Moorende

  • Neuenfelde

  • Nottensdorf

  • Oederquart

  • Oldendorf

  • Stade

  • Twielenfleth

  • Wohlerst

Die in den »Euthanasieaktionen« ermordeten Männer, Frauen und Kinder gehören auch heute noch oft zu den vergessenen Opfern des Nationalsozialismus.


Literaturhinweis:

»Die NS-Rassepolitik und ihre Umsetzung im Landkreis Stade« von Dr. Heike Schlichting in Alltag und Verfolgung, Stade 2003