VVN-BdA
Stade
50. »Tag der Heimat« des »Bundes der Vertriebenen«
von Samuel Salzborn
aus: DER RECHTE RAND, Nr. 61, November 1999
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Im kleinen Rahmen fand Anfang September
der 50. »Tag der Heimat« des »Bundes der Vertriebenen«
(BdV) in Stuttgart statt. Nur einigen Hundert geladenen Gästen war es
vorbehalten, den Dank des BdV an den Estnischen Staatspräsidenten Lennart
Meri und die Bundesregierung vor Ort mitzuerleben. Vor dem Hintergrund des
Haushaltsentwurfs der Bundesregierung für 2000 kam dabei insgesamt mehr
als gute Stimmung auf.
Als »Minister für harte Themen, wie z. B. Bundesgrenzschutz oder Bundeskriminalamt«, gehe Otto Schily mit den Anliegen der »Vertriebenenverbände sensibel und verantwortungsbewusst« um, erklärte BdV-Präsidentin Erika Steinbach. In ihrer Festrede bedankte sich die Frankfurter Christdemokratin für die bisherige Zusammenarbeit mit dem bei der Feierlichkeit persönlich anwesenden sozialdemokratischen Innenminister, in dessen Hand »glücklicherweise« die Abwicklung der Bundesfinanzierung des BdV liege. Auch in einer Zeit, in der gespart werden müsse, sei auf Schily Verlass. Das zeigt sich besonders beim jüngst vorgelegten Haushaltsplan der Bundesregierung für das kommende Jahr. Die seit einigen Jahren obligatorisch gewordene Summe von etwa 3,5 Millionen Mark institutioneller Förderung wird dem BdV auch 2000 wieder zuteil werden. Ergänzt wird sie diesmal um 41,48 Millionen Mark für Projektförderungen für »Maßnahmen zur Förderung der Integration von Spätaussiedlern und Vertriebenen«. Dieser Posten soll damit im kommenden Jahr nochmals um gut drei Millionen (1999: 38,41 Millionen Mark) aufgestockt werden. Zur Erinnerung: In den letzten Amtsjahren der christlich-liberalen Bundesregierung hatten diese Mittel die Marke von 30 Millionen Mark nie überstiegen; 1997 lagen sie sogar noch bei knapp 20 Millionen Mark. Und auch die Aufregungen um die Vorschläge des Staatsministers für Kultur und Medien, Michael Naumann, gehören längst der Vergangenheit an. Dieser hatte kurz vor dem »Tag der Heimat«noch erklärt, einige Kultureinrichtungen der »Vertriebenenverbände« zusammenlegen und deren Mittel kürzen zu wollen. Doch die in sein Ressort fallende finanzielle Förderung »kultureller Maßnahmen« im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) zeigt, dass das nicht ganz so ernst gemeint gewesen ist. Besonders die Einrichtungen, die am lautesten über ihren finanziellen Niedergang und ihre vermeintliche Schließung gejammert hatten, sollen - sozusagen als Ehrenbonus für ihr Engagement - im nächsten Haushaltsjahr bedeutend mehr Geld bekommen als im aktuellen. Bei der »Stiftung Ostdeutscher Kulturrat« beispielsweise steigt die Förderung von 1,26 auf 1,42 Millionen, bei der »Stiftung Haus Oberschlesien« von 1,59 auf 1,86 Millionen oder beim »Göttinger Arbeitskreis« von 1,06 auf 1,18 Millionen Mark. Naumanns Pläne Dass letztlich auch bei diesen Organisationen der Geldhahn weiter geöffnet werden soll - und das trotz des umfangreichen Sparprogrammes von Finanzminister Hans Eichel - haben die »Vertriebenen« nicht zuletzt Lennart Meri zu verdanken. Der Staatspräsident Estlands, die »Autorität an der Ostsee« (FAZ) protestierte bereits im Juli in einem Schreiben an Bundeskanzler Gerhard Schröder gegen das aus dem Hause des Staatsministers für Kultur und Medien stammende Umstrukturierungskonzept der Kulturförderung nach dem Bundesvertriebenengesetz. Mit gleichem Streben wandten sich seinerzeit auch der Litauische Staatspräsident Valdas Adamkus und Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger Polnischer Außenminister, in separaten Schreiben an den Kanzler und seinen Kulturbeauftragten. Und der »Focus« vergaß nicht, die Botschaft dem deutschen Volke zu stecken: keine Kürzungen bei den Bundesmitteln für die »Vertriebenen« - das sei einhellige Meinung im In- und Ausland. Stein des Anstoßes war ein bereits am 20. Mai vorgelegtes, 15-seitiges Konzeptpapier zur Kulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Dieses Paragraph besagt, dass das »Kulturgut der Vertreibungsgebiete« im »Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes« erhalten werden solle. Die daran arbeitenden Einrichtungen werden hierzu von der Bundesregierung finanziell alimentiert. Das im Mai von Staatsminister Naumann vorgelegte Konzept unternahm den zaghaften Versuch, diese Förderung in einigen wenigen Punkten umzustrukturieren. Die vorgeschlagenen Zusammenlegungen und finanziellen Mittelkürzungen, betonte Naumann, hätten dabei weder ideologische Gründe, noch seien sie fiskalisch motiviert - die Kulturarbeit müsse vielmehr der »veränderten historischen Lage seit der Zeitenwende in Osteuropa« angepasst werden. Im wesentlichen sah Naumanns Plan die Zusammenfassung einiger kleinerer Einrichtungen und im Gegenzug die Schaffung einer neuen »zentralen Kultureinrichtung«, einer »Kulturstiftung für das östliche Europa«, vor. Allerdings wurden institutionelle Fusionspläne, wie etwa der zur Zusammenführung des »Ostpreußischen Landesmuseums« (Lüneburg) und des historisch-geographisch damit verbundenen »Westpreußischen Landesmuseums« (Münster), zwar aus pragmatischen Gründen befürwortet, doch hätte diese Verbindung der Museumsstandorte Investitionen für einen Museumsneubau in Lüneburg erforderlich gemacht, die »nicht finanzierbar« gewesen seien, wie es in dem Papier hieß. Deshalb sollten beide Einrichtungen, die eine aus dem Vorfeld der »Landsmannschaft Ostpreußen«, die andere aus dem der »Landsmannschaft Westpreußen«, bereits diesem Entwurf zufolge auch weiterhin bestehen bleiben. Ähnlich verhielt es sich auch in anderen Bereichen der Kulturpolitik der »Vertriebenenverbände«. So sollte etwa die institutionelle Förderung der »Stiftung Ostdeutscher Kulturrat« (OKR) und die der »Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen« zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingestellt werden. Denn die Kernaufgaben dieser zentralen Fixpunkte im System des kulturellen Kampfes der »Vertriebenenverbände« sollten eben von der neuzuschaffenden zentralen Kultureinrichtung wahrgenommen werden. Da das Naumann-Papier bereits den Kritikansturm von »Fachleuten und politischer Seite« voraussah, der dann in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) durch einen Artikel des Geschäftsführers des »Adalbert-Stifter-Vereins«, Peter Becher, losgetreten und anschließend bis zu den Schreiben aus Estland, Litauen und Polen ausgebaut wurde, war der Entwurf sogar noch eingeschränkt worden. Die »skizzierte Verdichtung der institutionellen Vielfalt und die politische Neudefinition der Aufgabenschwerpunkte« sei zwar grundsätzlich erforderlich, hieß es in der abschließenden Passage des Entwurfs, da jedoch einige Probleme für die potentiell betroffenen Einrichtungen zu erwarten seien (Aufgabe des Rechtsstatus, Kündigung von Mitarbeitern, Miete etc.), könne sich das Umstrukturierungsprogramm über einen langen Zeitraum hinziehen. Hieß bereits seinerzeit im Klartext: der »frühestmögliche Zeitpunkt« zur Förderungseinstellung für einige Einrichtungen, die in Bezug auf den Gesamtrahmen der Institutionen nur einen kleinen Teil ausmachen, könnte sich einige Jahre hinauszögern - also auch über die aktuelle Legislaturperiode und damit möglicherweise die rot-grüne Koalition hinaus. Die »Stiftung Ostdeutscher Kulturrat«, die 1997 noch mit einem Eigenvermögen von über 5,3 Millionen Mark ausgestattet war, müsse allerdings wegen des Konzeptpapiers von Naumann, das nur eine Diskussionsgrundlage seiner Abteilung ohne jede Entscheidungs- und Handlungskompetenz seitens der Bundesregierung war, deshalb in Bälde »ihre Existenz und Arbeit« beenden, wie es im OKR-Organ »Kulturpolitische Korrespondenz« (KK) hieß - mit Blick auf den Haushaltsentwurf für 2000 mehr als nur eine zweifelhafte Einschätzung. Ähnlicher Nonsens war auch vom »Göttinger Arbeitkreis« zu vernehmen, der 1946 als Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gegründet wurde. Dessen Präsident Boris Meissner, ein alter SA-Recke und Offiziersanwärter im Armeeoberkommando 18 der Wehrmacht, sprach gar von der »Enthauptung« der Baltikumforschung, sollten die Bundesmittel für den »Göttinger Arbeitskreis« gestutzt werden. Genau um diesen Verein machte sich auch der Estnischen Staatspräsident Meri seine Sorgen. Meri, den der BdV beim 50. »Tag der Heimat« mit seiner höchsten Auszeichnung, der »Plakette für Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht« ausgezeichnet hat, protestierte explizit gegen einen möglichen Fördermittelentzug für den »Göttinger Arbeitskreis«. Grund zu der Befürchtung für die »Vertriebenenverbände«, es könnte sich tatsächlich etwas an der Förderpraxis durch die Bundesregierung ändern, bestand jedoch seinerzeit nicht nur wegen des Entwurfcharakters von Naumanns-Papier und dessen wenig weitreichende Kürzungsvorschläge nicht. Da waren und sind nicht zuletzt Gerhard Schröder und Otto Schily höchstpersönlich vor, wie sich anhand des aktuellen Haushaltsentwurfs unschwer erkennen lässt. Meri und die »Plakette« Meri war erst das zweite nicht-deutsche Staatsoberhaupt, dem der BdV seine höchste Auszeichnung verliehen hat - nur dem Regierenden Fürsten Franz-Josef II. von und zu Liechtenstein wurde zuvor (1985) die »Plakette« überreicht. Der Chefredakteur des BdV-Organs »Deutscher Ostdienst« (DOD), Walter Stratmann, erklärte im Vorfeld des 50. »Tages der Heimat«, weshalb Meri die BdV-Ehrung zuteil wurde: »Lennart Meris Einsatz für das Selbstbestimmungsrecht seines eigenen Volkes wie das der anderen Völker und Ethnien im sowjetischen Reich führte ihn auch zu einer eindeutigen Bewertung der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands, die die Teilung Europas ebenso symbolisierte wie die Herrschaft der Unfreiheit über seine östliche Hälfte.« Der am 29. März 1929 geborene Meri, der sich nachhaltig für die »Bewahrung« einer eigenständigen »estnischen Identität« einsetzte und einsetzt, hatte im Interview mit der rechtskonservativen Tageszeitung »Die Welt« bereits Ende 1998 genauer ausgeführt, worin seine ideologische Überzeugung besteht, die die Sympathien des BdV wecken konnte. Im Zuge des europäischen Einigungsprozesses, so Meri, sei der »Verschiedenartigkeit Europas« und der »Bewahrung gerade kleiner Völker und Volksgruppen in ihrer Identität auf unserem Kontinent eine immer größere Bedeutung« beizumessen: »Wenn wir uns heute fragen, warum dieses kleine, an Bodenschätzen arme Europa zu einer solchen Bedeutung gelangen konnte, dann hängt das mit der unverwechselbaren Identität seiner Menschen zusammen, die gelernt haben, ein Problem unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten zu begreifen, zu lösen.« Der estnische Staatspräsident, der vor seiner politischen Karriere im literarischen und filmischen Kulturspektrum tätig gewesen ist, sehe voraus, dass »die kleinen Kulturen und Nationen Europas in Zukunft eine ganz neue Rolle spielen« werden. Denn wenn die »Zukunft Europas auf das Zusammenrühren eines ethnischen Einheitsbreis hinauslaufen sollte ich entsinne mich an die graue, multiethnische Masse auf den sowjetischen Bahnhöfen , dann wäre dies das Ende, und zwar ein unrühmliches Ende für Europa.« So würde es auch die »größte Errungenschaft unseres Kontinents« sein, wenn er »für alle seine Völker die menschlichen Grundfreiheiten verwirklichen und gleichzeitig sicherstellen« könnte, dass »Deutschland sich nicht in eine zweite Türkei oder die skandinavischen Staaten sich nicht in ein Klein-Amerika« verwandeln würden. Denn »einen europäischen Einheitsbrei« kann sich Meri, dessen Film »über die finno-ugrischen Völker und Stämme« in der Sowjetunion verboten war, »einfach nicht vorstellen«. Bereits 1995 hatte Meri - dieser völkisch-ethnopluralistischen Strategie folgend - erklärt, Estland stünde allen Deutschen offen, die »willig seien, von ihrem Recht auf ihre Heimat Gebrauch zu machen«. Und gegenüber dem »Ostpreußenblatt« (OB) ergänzte er jüngst, dass er gern »mehr deutsche Schulen in Estland« hätte. Die Schirmherrschaft über die erste »Estnisch-deutsche Akademische Woche« hatte Meri, der von 1990 bis 1992 Estnischer Außenminister war und nach kurzer Tätigkeit als Botschafter in Finnland am 6. Oktober 1992 als Staatspräsident Estlands vereidigt wurde, bereits im September 1997 in Kooperation mit dem damaligen Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) übernommen. In welche Richtung seine deutsch-estnische Freundschaft und Verbündung weisen soll, erklärte Meri am »Tag der deutschen Einheit« 1995, als er - wie die rechtsradikale Wochenzeitung »Junge Freiheit« (JF) es formulierte - der »deutschen ÆCanossarepublik' den Spiegel vorgehalten« hatte: »Wenn man die Moral zur Schau trägt, riskiert man, nicht ernst genommen zu werden. Man kann einem Volk nicht trauen, das sich rund um die Uhr in intellektueller Selbstverachtung übt.« Zu den Ehrengästen bei der Verleihung der »Plakette für Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht« an Meri gehörten nun neben Schily unter anderem auch der neue »Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler« in Hessen (das Amt entstand erst unter der Regierung Koch), Rudolf Friedrich (CDU), Angelika Hauser-Hauswirth von der »Landeszentrale für Politische Bildung« in Baden-Württemberg und der Baden-Württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU). Mit einem Grußwort wandte sich auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) an den BdV. Darin erklärte er, dass »jeder Akt der Vertreibung, so unterschiedlich die historischen Hintergründe auch sein mögen«, ein »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« sei und dass der BdV durch sein Engagement »nicht nur die Schrecken der Vergangenheit ins Gedächtnis« rufe, sondern zugleich »Mahner gegen Vertreibung in Gegenwart und Zukunft« sei. Der ehemalige Niedersächsische Ministerpräsident begrüßte die »Initiative des Bundes der Vertriebenen, sichtbare Zeichen gegen Vertreibung und für Völkerverständigung und die Wahrung der Menschenrechte zu setzen«, denn die Bundesrepublik wolle den »europäischen Einigungsprozess und die EU-Osterweiterung weiter voranbringen«: »Über die voranschreitende europäische Einigung und das Zusammenwachsen ganz Europas werden die bestehenden Grenzen noch durchlässiger und dadurch Kontakte, Besuche und die Rückkehr (sic!) in die alte Heimat leichter werden als bisher«, so Schröder. Wenig verwunderlich, dass das »Ostpreußenblatt« anschließend bekundete, dass sich auf dieser Basis «reibungslos mit der SPD-geführten Regierung kooperieren« lasse. Der Bundeshaltsentwurf 2000 belegt dies mehr als deutlich.
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