VVN-BdA
Stade
Dokumentation
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Das Massaker auf dem Seelhorster Friedhof Ab November 1942 tat Gustav W. Dienst in der Gestapo-Außenstelle in Hannover-Ahlem. Er gehörte zur »berüchtigten« Ausländerabteilung. »Ich wurde jetzt eingesetzt als Sachbearbeiter für Ausländerangelegenheiten«, gab er selbst an, »das heißt, ich musste Vernehmungen durchführen von Personen, die sich des Arbeitsvertragsbruches schuldig gemacht hatten.« Einer seiner Arbeitsplätze war das Polizeiersatzgefängnis.
Am 4. April 1945 traf ein Todesmarsch mit sowjetischen Zwangsarbeitern aus dem »Arbeitserziehungslager« Lahde in Ahlem ein. Vom Chef der Gestapoleitstelle kam der Befehl: Alle erschießen, die nach dem Ende gefährlich werden könnten. Denn das Ende war gewiss. Die US-Armee kesselte die Stadt bereits ein. SS-Obersturmführer Hans Heinrich Joost, Führer in Ahlem, war sich bewusst, dass diese Morde in letzter Minute den Zorn der Sieger erregen würde. Er verzögerte und drückte sich um den eigentlichen Schießbefehl. 154 Männer und ein russisches Mädchen von etwa 18 Jahren wurden selektiert. SS-Ostuf. Joost ließ seinen Leuten die Wahl; wer von ihnen »nicht die Kraft zur Ausführung dieses Befehls« habe, könne anstandslos gehen. Einer tat es. Die übrigen bekamen eine Schachtel Zigaretten. Auch Gustav W., 37 Jahre alt, seit wenigstens vier Jahren im Mordhandwerk. Er wurde beauftragt, die Grube auf dem Seelhorster Friedhof zu präparieren.
Am Sonntag, 6. April, wurden die Gefangenen in Gruppen zu 25 auf den Friedhof geführt. Der dienstälteste SS-Mann gab den Schießbefehl und die »Fangschüsse«. Die ans Grab tretenden Häftlinge mussten die vor ihnen gefallenen mit Erde bedecken. Gustav W. machte bei Joost Meldung. Er berichtete von Komplikationen. Das russische Mädchen habe einfach nicht sterben wollen. Ein SS-Mann feuerte einmal, zweimal auf sie, aber erst beim dritten Schuss fiel sie. In dem Moment, als die Schützen irritiert waren, griff ein 25-jähriger sowjetischer Hauptmann einen Spaten, schlug den SS-Mann nieder, sprang in den nahen Wald und entkam.
Vier Tage nach dem Massaker nahmen die US-Amerikaner Hannover
ein. Vor laufenden Kameras, in verordneter Anwesenheit gewöhnlicher
Bürger mussten »belastete Nazis« des Massengrab auf der Seelhorst
ausräumen. Weit mehr Leichen als befürchtet wurden geborgen, 526
insgesamt. 386 wurden im Trauerzug zum Maschsee gefahren und am Nordufer
bestattet.
Bereits am 13. August 1950 wurde W. entlassen - »wegen guter Führung« - und kehrte nach Stade zurück.
In Hannover erinnern zwei Gedenksteine, einer am Maschsee und einer auf dem Seelhorster Friedhof, an die letzte Tat von Gustav W. als SS-Mann. In Ahlem befindet sich eine Mahn- und Gedenkstätte, in der die Verbrechen der Gestapo dokumentiert werden.
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