Zum Artikel »Fahnenflucht statt Heldentod« (STADER TAGEBLATT vom 22. April 2003) schreibt Detlef von Busch aus Stade:
Am 9. Mai wird in Buxtehude ein Gedenkstein eingeweiht für vier hohe
Wehrmachtsoffiziere, die Ende April 1945 durch kampflose Kapitulation
»unter Einsatz ihres Lebens Menschenopfer und die Zerstörung der
Stadt« verhindert hätten.
Einer der vier, Admiral Engel, hat laut TAGEBLATT mindestens 54 Todesurteile
gegen fahnenflüchtige Soldaten zu verantworten. Ein weiterer, Kapitän
Magnus, ist nach Angaben des Bundesarchivs Koblenz an Judendeportationen
und Massakern an Zivilisten in Griechenland beteiligt gewesen. Dass sie trotzdem
geehrt werden, setzt dem Ganzen die Krone auf.
Aber selbst ohne dass ihre Beteiligung an Kriegsverbrechen nachgewiesen
wäre, ist die Ehrung ein Skandal. Alle vier hatten zum maßgeblichen
Zeitpunkt hohe Offiziersränge inne. Dass alle Vier überzeugte
Antisemiten und Vollstrecker des deutschen Vernichtungskrieges waren, ist
damit eine Tatsache.
In Buxtehude stört dies weder die Initiatoren des Gedenksteinprojektes,
einen Verein namens »Ehemalige der Estetalkaserne«, noch die
Verantwortlichen der Stadt. Denn die Bereitstellung eines öffentlichen
Platzes und die höhnische Benennung in »Friedensplatz« erfordert
einen Ratsbeschluss.
Das TAGEBLATT nennt zwei »Zeitzeugen«, die die damaligen Ereignisse
schildern. Dabei handelt es sich um einen der betreffenden vier
Wehrmachtsoffiziere und um den damaligen Nazi-Bürgermeister Klein. Wie
schön! Nach 58 Jahren stellt man damit hohen Amtsträgern des
Nazi-Staates einen Persilschein aus. Das ist offensichtlich auch das Ziel
des Gedenkstein-Projektes.
Dann sollten die »Ehemaligen der Estetalkaserne« und die
Stadt-Verantwortlichen aber soviel Courage besitzen und den Gedenkstein am
20. April einweihen.
Am 9. Mai aber, einen Tag nach dem Jahrestag der Befreiung vom
Nationalsozialismus, sollten die Unbekannten geehrt werden, die in der Nacht
vor der »Heldentat« die Minen von den Buxtehuder Brücken entfernt
haben, die die Wehrmacht kurz zuvor dort noch angebracht hatte. Wenn jemand
unter Lebensgefahr unnötiges Blutvergießen hat verhindern wollen,
dann waren es diese Leute.
Betr.: »Hickhack um den Gedenkstein« (WOCHENBLATT 21. Mai 2003):
Ein Mörder hat neun Menschen umgebracht. Bevor er den zehnten töten
kann, stellt ihn die Polizei, hält ihm eine Pistole an den Kopf und
fordert ihn auf, seine Waffe weg zu werfen. Er tut es - und wird 58 Jahre
später mit einem »Gedenkstein« dafür geehrt, dass sein
letztes Opfer verschont wurde. So geschehen in Buxtehude. Vier Offiziere
der Wehrmacht, die sechs Jahre lang Hitlers Krieg führten, ergaben sich
am 22. April 1945 einer Übermacht von britischen Truppen, die die Stadt
eingekesselt hatten.
Ob Admiral Engel oder Kapitän Magnus, wie jetzt diskutiert wird,
»Dreck am Stecken« hatten und an Judendeportationen beteiligt waren
oder Todesurteile gegen Deserteure verhängten, ist nebensächlich.
Die ganze Geschichte stinkt. Buxtehude wurde nicht »kampflos
übergeben«, wie auch einer der Geehrten, Karl Halaski, einräumt:
Es wurden Schützengräben ausgehoben und Soldaten mit
Panzerfäusten in Stellung gebracht. Nicht aus Friedensliebe oder Einsicht
in das Verbrecherische des NS-Regimes gaben die Militärs in Buxtehude
auf, sondern weil die Übermacht ihnen keine Chance ließ.
Warum hat man die tatsächlichen Vorgänge um die Übergabe von
Buxtehude nicht aufgeklärt, bevor man den »Gedenkstein«
aufstellte? Wozu bezahlt man eigentlich einen Stadtarchivar? Statt fundierte
historische Recherche zu betreiben, vertraut der lieber ausschließlich
auf Zeitzeugenberichte - auf Erzählungen der Beteiligten selbst, die
allen Grund hatten, ihre eigene Rolle schön zu färben und sich
nicht einmal einig sind, wer überhaupt zum Zeitpunkt der Kapitulation
Kommandant war. Und der Stadtarchivar vertraut auf das Zeugnis des Initiators
des »Gedenksteins« Hans-Georg Freudenthal, eines seinerzeit
Zwölfjährigen, der Zeugnis ablegt über Vorgänge, die
er bestenfalls vom Hörensagen kennt. Skandalös ist weniger der
»Gedenkstein« als der schlampige und rechten Legenden Vorschub
leistende Umgang mit Geschichte durch den Stadtarchivar und den Stadtrat
von Buxtehude.
Philipp Richert, Stade
Betr.: »Also doch: Geehrte Offiziere an NS-Verbrechen beteiligt« (WOCHENBLATT 7. Juni 2003):
Der Ex-Bürgermeister einer norddeutschen Kleinstadt möchte sich
zum Ende seiner lokalpolitischen Karriere noch einmal etwas gönnen.
Er erinnert sich an den April 1945, als er - damals 12jähriger
»Steppke« - in der Nähe von eben erst ausgehobenen
Schützengräben rumkriecht. Er sieht in der Ferne Büsche, die
vorher noch da waren und sich auch bewegen, bis ihm jemand sagt: »Das
sind die Tommys«, die britische Armee steht mit erdrückender
Übermacht vor den Toren der Stadt.
Über 50 Jahre später startet er eine Initiative zur Ehrung der
Wehrmachtsoffiziere, die sich als damalige Kommandanten der Stadt den britischen
Truppen ergaben. Es bietet sich an, da er mit der Tochter eines der Offiziere
gemeinsam zur Schule ging.
Er bringt den Vorschlag im Sommer 2000 in den Stadtrat, dem er damals noch
angehörte. Die Stadtratsfraktionen freut es, dass mal nicht
Widerstandskämpfern und Opfern des NS-Regimes gedacht werden soll. Endlich
hat man ein paar »saubere« Wehrmachtssoldaten, die man ehren kann.
Man ist ja schließlich pluralistisch und unvoreingenommen. Warum soll
man nicht auch ein fünf Jahrzehnte währendes Tabu brechen, das
im Prinzip niemals eines war. Immerhin steht in fast jedem Dorf ein Gedenkstein
für »unsere gefallenen Helden«.
So oder ganz ähnlich ist es offensichtlich in Buxtehude gelaufen.
Dummerweise melden sich aber nicht nach Einweihung des Gedenksteins, wie
das WOCHENBLATT schon am 31.5. fälschlicherweise schrieb, die
»Kritiker«, sondern schon vorher: einige der Geehrten waren an
Kriegsverbrechen beteiligt. Bürgermeister und Stadtarchivar tun verwundert.
Hatte man nicht bereits vor drei Jahren beim Bundesarchiv nachgefragt und
dort keine Informationen erhalten? Nun gibt es dort plötzlich Informationen
und damit hat man den Buhmann: das Bundesarchiv ist schuld.
Unauffällig wird also die Inschrift vom Gedenkstein entfernt und eine
neue ausgedacht, auf der jetzt aber keine Namen stehen sollen. Schlau!
NS-Täter und Kriegsverbrecher aus der zweiten Reihe hatten in Deutschland
schließlich nie Namen, zumindestens durften sie nicht erwähnt
werden. Den Legenden von der »sauberen Wehrmacht«, von der
»kampf- und selbstlosen Übergabe« und einigen anderen Legenden
hat man trotzdem auf den Weg geholfen.
Detlef von Busch, Stade
Die Einweihung des »Gedenksteins«