Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Kreisverband Stade GEW aktuell  Frühjahr 2004









VVN-BdA Stade

Neonazis zeigen Gesicht in Buxtehude

Besser stellt man sich den Erben Hitlers nicht in den Weg. Man wird dann nicht von der Polizei beargwöhnt, wird nicht verleumdet und selbst zur größeren Gefahr erklärt. Gewiss, in Sonntagsreden macht sich das gut: Kampf dem Rechtsextremismus, Gesicht zeigen, Aufstand der Anständigen. Sobald es jedoch ernst wird, gehen allzu viele allzu rasch in Deckung. Und manche fallen denen, die den Kampf aufnehmen, auch noch in den Rücken.

Aufklärung über Rechtsextremismus war an der Halepaghenschule, dem Gymnasium von Buxtehude, nicht erwünscht. Eine Gruppe von SchülerInnen war auf die Idee verfallen, die von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten VVN-BdA erstellte Ausstellung über »Neofaschismus in der Bundesrepublik« an ihrer Schule zu zeigen. Schulleiter, etliche Lehrer und der CDU nahestehende Schüler waren dagegen. Nicht, dass sie etwas an der Ausstellung auszusetzen gehabt hätten. Die kannten sie nicht und wollten sie nicht kennen lernen. Es genügte ihnen, darauf hinzuweisen, dass die VVN-BdA vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

»Die meisten Menschen nehmen die Meinungen an, so wie sie von andern gemacht worden sind. Der Deutsche geht hierin unbegreiflich weit«, wusste Georg Christoph Lichtenberg schon vor 230 Jahren. Sich eigene Ansichten zu ersparen - dafür also wäre der Verfassungsschutz da? Es ist ein Mythos, dass die Einschätzungen der Behörde fundierter wären, als was man selbst herausfinden kann; 80 Prozent seiner Erkenntnisse stammen aus offenen Quellen, aus den Medien und der Wissenschaft. Die bezahlten V-Leute liefern, was man von ihnen erwartet.

Aus Scheu vor der inhaltlichen Auseinandersetzung versuchte man an der Halepaghenschule das Projekt am Geld scheitern zu lassen. Die Schüler-Initiative war indes findig und sammelte Spenden. Notgedrungen wurde die Ausstellung zugelassen, aber besichtigt werden durfte sie nur unter Aufsicht, als sei sie eine ansteckende Krankheit. Und das Begleitprogramm wurde im Gymnasium nicht geduldet, sondern musste in die Volkshochschule VHS ausweichen. Werbung dafür durfte in der Halepaghenschule erst in letzter Minute gemacht werden. Auch deshalb fanden nur etwa fünfzehn Menschen am 12. Januar den Weg zu einer Podiumsdiskussion mit Cornelia Kehrt von der VVN-BdA aus Hamburg und der Journalistin und Buchautorin Andrea Röpke, einer der profundesten Kennerinnen der rechten Szene. Von denen, die die Ausstellung zu verhindern versucht hatten, ließ sich natürlich niemand blicken.


Eine geplatzte Podiumsdiskussion

Gesicht zeigten dagegen zwei Dutzend Neonazis unter Führung zweier älterer Herren, die sich als »Köpfe« der »nationalen Opposition« begreifen. Der eine, Adolf Dammann, Jahrgang 1939, wohnt im Buxtehuder Stadtteil Neukloster und ist stellvertretender Landesvorsitzender der niedersächsischen NPD. Ihm gehört die so genannte »NPD-Scheune« in der Ortsmitte von Bargstedt bei Harsefeld, in der seit Jahren unangefochten von Bürgern, Politik und Polizei der Führernachwuchs geschult wird. »Die Menschen in dem kleinen Dorf haben Angst, immer wieder suchen alkoholisierte Neonazis Dorffeste auf und fangen Streitereien an«, fand Andrea Röpke heraus.

Gern druckt die Lokalpresse Dammanns Leserbriefe. Zuletzt bot ihm das Tageblatt am 30. Dezember 2003 ein Forum, um seine Vorstellung von der jüdischen Weltverschwörung zu verbreiten: »Zwar weiß jeder gebildete Mensch, dass die bolschewistische Revolution 1917 in Russland und die anschließenden blutigen Gemetzel ohne Juden kaum stattgefunden hätten und dass in diesem Sinne natürlich Juden auch "Täter" waren, doch aussprechen darf man das zwar mit NPD-Parteibuch, aber nicht mit einem der CDU. Die Bilder glichen sich. War Schily vor seinem Besuch bei Paul Spiegel 2000 gegen ein NPD-Verbotsverfahren, so war er danach urplötzlich dafür. War der hessische CDU-Chef Koch gegen den Rauswurf Hohmanns, so änderte er nach seinem Besuch bei der jüdischen Gemeinde flugs seine Meinung ins Gegenteil.« Gesellschaft und Politik der Bundesrepublik sind für Dammann wie die Weimarer Republik für die Nationalsozialisten »das System«. Er fühlt sich diffamiert von den »Systemmedien« (zu denen das Tageblatt offenkundig nicht zählt), verfolgt von »Systemschergen«, von »volks- und verfassungsfeindlichen Elementen«.

Adolf Dammann in Rotenburg/Wümme am 13.3.04 (rupr)

Adolf Dammann (Mitte) auf einer NPD-Kundgebung in Rotenburg/Wümme am 13. März 2004


In die VHS mitgebracht hatte Dammann Dr. Reinhold Oberlercher aus Hamburg, Jahrgang 1943, der gemeinsam mit Horst Mahler das »Deutsche Kolleg« betreibt, das sich »als Denkorgan des Deutschen Reichs« versteht. Oberlercher ist Mit-Autor eines »Regierungsprogramms für das Vierte Reich«, mit dem das »völkerrechtswidrige Reichs- und Volksvernichtungsregime BRD« abgelöst werden soll. In dem von ihm erträumten Kaiserreich mit den »Hauptorten« Berlin, Wien, Zürich und Rotterdam sollen Parteien verboten sein. Am Computer allerdings kann das »Reichsvolk« an der politischen Willensbildung teilnehmen, denn »die elektronische Kommunikationstechnik ermöglicht die Wiederbelebung des germanischen Things«. Weiterhin soll es »Reichsarbeitsdienst« geben, einen »Reichsherold«, der die Publizistik beherrscht, und »Reichsreliquien«, denen »Herzöge und Gaufürsten« zu huldigen hätten.

Die Neonazis machten sich anheischig, die Veranstaltung zu übernehmen. Sie reklamierten die Freiheit der Meinungsäußerung für sich, die sie mit gegebenenfalls blutigen Mitteln abzuschaffen bereit sind. Einer der Jungen hielt es für angezeigt, klarzustellen: »Ich kein Faschist, ich bin ein Nationalsozialist.« Kann man über Neofaschismus diskutieren mit jemandem, der sich als Anhänger eines Verbrecherstaats zu erkennen gibt? Nein, entschieden die veranstaltenden SchülerInnen und die Podiumsteilnehmerinnen.

Vergeblich versuchte der VHS-Leiter, sein Hausrecht durchzusetzen. Freiwillig wollten Hitlers Erben nicht gehen. Das telefonisch alarmierte Polizeirevier reagierte ebenso wenig wie die mit mehreren Beamten vertretene Staatsschutz-Abteilung der Polizei. Diese waren auf Grund einer konkreten Warnung vor Ort. Davon hatten sie zwar den Leiter der VHS und den Leiter der Halepaghenschule informiert; man hatte beisammen gesessen und palavert - aber keiner der Herren hatte es für nötig erachtet, den SchülerInnen als Veranstalter ein Sterbenswort zu sagen, die mithin vom Auftauchen der Neonazis überrumpelt wurden. Statt seines Amtes zu walten fiel der Einsatzleiter der politischen Polizisten aus der Rolle und forderte das Podium in einer langen Rede auf, mit den Neonazis Meinungen auszutauschen. Um die absehbare Eskalation zur Gewalt zu vermeiden, wurde die Veranstaltung aufgelöst.

Die Neonazis verteilten noch rasch ein Flugblatt, in dem sie namentlich benannten Personen aus der Region »Menschenjagd« vorwarfen. Die Störung war offenbar Teil einer Strategie gemeinsamer Aktionen von Freien Kameradschaften und der Jungen Nationaldemokraten JN, der Jugendorganisation der NPD, die sich Schulen zum Ziel nimmt. Die »Schuloffensive der JN« - »Den Nationalismus in die Schulen tragen« ist im Raum Verden unlängst durchgestartet. Von dort stammt auch der Unterzeichner des besagten Flugblatts.

Für den am nächsten Abend am gleichem Ort vorgesehenen Vortrag über »Neofaschismus im Landkreis Stade« kündigten die Rechten ihre Rückkehr an. Auf mehreren Internet-Seiten der rechten Szene wurde der Auftritt in Buxtehude als Sieg über die »Antifanten« gefeiert. Am nächsten Abend erschienen rund sechzig SchülerInnen und einige Lehrer vor der VHS. Ein Trupp von zehn Neonazis zog wieder ab. Die Veranstaltung fiel trotzdem aus.


Schäbige Reaktionen

Auch der letzte öffentliche Besichtigungstermin für die Ausstellung in der Halepaghenschule am 16. Februar wurde abgesagt. Der Staatsschutz hatte die Tartarenmeldung in die Welt gesetzt, Neonazis würden dort auftauchen. Der Schulleiter fand es nicht angezeigt, ihnen entgegen zu treten, sondern hielt es für opportun, ihnen freiwillig das Feld zu überlassen. Er befürchte, erklärte er, seine SchülerInnen könnten den Neonazis entgegen treten. Und das durfte natürlich auf keinen Fall geschehen. Kein Rechter ließ sich blicken. So bekamen Dammann und Co. diesen billigen Sieg gar nicht mit.

Der Leiter der Halepaghenschule hielt es für angezeigt, sich in einem Schreiben »für die hervorragende Betreuung durch die eingesetzten Polizeibeamten« zu bedanken - bei einer Veranstaltung, bei er wohlgemerkt nicht zugegen war. »Er bedankt sich bei den namentlich aufgeführten Beamten und weist darauf hin, dass die von den Staatsschutzbeamten verfolgte deeskalierende Zielrichtung - entgegen einzelner gegenteiliger öffentlicher Meinungsäußerungen - dort eine breite Zustimmung gefunden hat«, heißt es in einer Antwort des niedersächsischen Innenministeriums auf eine Anfrage zweier Abgeordneter der Grünen.

Adolf Dammann träumt von der Machtübernahme. Und er vergisst nicht, bei jeder passenden Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass er sich die Namen derjenigen vormerkt, die ihm Widerstand geleistet haben. Die Namen der SchülerInnen, die die Ausstellung organisiert hatten, wurden vom »Aktionsbüro Norddeutschland« im Internet veröffentlicht. Ihr Schulleiter verweigerte ihnen Unterstützung oder Schutz. Er steht nicht auf Dammanns schwarzer Liste. So wenig wie die ausgewogene Redaktion des Tageblatts, das ebenso breit über die geplatzte Podiumsdiskussion berichtete wie es dem NPD-Umfeld seine Leserbriefspalten zur Verfügung stellte, um den Sieg über die Verfechter des »Systems« auszukosten.

Die schäbigste Reaktion leistete sich der Kreisverband der Jungen Union. Heuchlerisch lobte der CDU-Nachwuchs in einer Presseerklärung das Engagement gegen Rechts, um dann Neofaschisten und Antifaschisten gleich zu setzen: »Beide haben zum Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zerstören.« Kenner der rechten Szene waren von dem massiven Auftreten der Neonazis in Buxtehude überrascht. Nicht dagegen die Besserwisser der JU: »In den Augen von rechten Aktivisten ist die Mitwirkung des links gerichteten VVN/BdA Grund genug, eine Veranstaltung (...) zu stören. Mit einer Gegenreaktion der Rechten war also zu rechnen.« Demnach wären die Neonazis still geblieben, wenn eine andere Organisation über ihr Treiben hätte aufklären wollen? Am 2. November 2001 protestierte der NPD-Nachwuchs JN, zu deren Führung die Tochter von Adolf Dammann gehört, bei der Eröffnung der vom Verfassungsschutz erarbeiteten Ausstellung »Demokratie gegen Rechtsextremismus« in Buxtehude.

Der Bundesgeschäftsführer der NPD zieht im Internet diese Bilanz der Buxtehuder Vorkommnisse: »Es sollte jeden (sic!) Aktivisten Mut machen, zukünftig immer auf ähnlichen Veranstaltungen Gesicht zu zeigen(,) um so die Volksverhetzer in der Öffentlichkeit vorzuführen.« »National befreite Zonen« soll es nicht nur im Osten der Republik geben. Auch rund um Buxtehude ist man dazu längst am Werk.


»Rechte und linke Chaoten«

In der Aula der Halepaghenschule berichtete am 20. Januar die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano über ihre Leiden während des Dritten Reichs. Damit hatte die Schulleitung kein Problem. Das ist schließlich Geschichte. Vor den gegenwärtigen Anstrengungen, ein Viertes Reich zu errichten, verschließt man dagegen die Augen. Am 31. Januar geriet Esther Bejarano ins Visier der Wasserwerfer der Hamburger Polizei. Während tausend Neonazis ungestört gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht demonstrieren konnten, wurde die Gegendemonstration von der Polizei aufgelöst.

Vortrag am 16.2.04 in der VHS Buxtehude

Vortrag in der Volkshochschule Buxtehude am 16. Februar 2004


Der abgesagte Vortrag über die rechten Strukturen im Landkreis Stade wurde am 16. Februar in der VHS nachgeholt. Vor rund 140 Menschen zeigte Michael Quelle von der VVN-BdA auf, wie aktiv die Neonazis in der Region sind. Über deren Straftaten wird nur ausnahmsweise in der Presse berichtet. Von den fünf Gewaltakten, die eine Statistik des Landeskriminalamtes für 2001 ausweist, wurde keiner öffentlich bekannt. Eine Statistik für die anderen Jahre gibt es gar nicht. Die Polizeiinspektion in Stade schlüsselt zwar in ihren jährlichen öffentlich vorgestellten Statistiken Ausländer- oder Jugendkriminalität auf; Delikte mit rechtem Hintergrund werden wohl gesondert erfasst, aber nicht als solche vermeldet. Allein in einer von der VVN-BdA erstellten Chronologie rechtsextremer Aktivitäten werden die verfügbaren Daten gesammelt und publik gemacht.

Eine Hundertschaft Polizisten patrouillierte rund um den Veranstaltungsort. »Eine kluge Einsatzstrategie der Polizei verhinderte am Montagabend die Eskalation zwischen rechten und linken Chaoten vor der Buxtehuder Volkshochschule«, berichtete das Tageblatt. Moment, da stimmt doch was nicht. Was für »linke Chaoten«? Die Antifa-Gruppen, die vorsorglich Präsenz zeigten, nachdem die Polizei zuvor kläglich versagt hatte? »Als gegen 19 Uhr der Vortragssaal der VHS voll besetzt war«, so das Tageblatt weiter, »rückten die ersten Polizeifahrzeuge in der Bertha-von-Suttner-Allee an, denn auf den Einfahrtstraßen Buxtehudes waren "verdächtige" Fahrzeuge aufgetaucht, die wenig später tatsächlich vor der VHS gesichtet wurden - mit dunkel gekleideten Personen in Fahrzeugen aus Delmenhorst, Cuxhaven und Hamburg. Sie gesellten sich zu dem Trupp der wegen des überfüllten Saals gar nicht erst ins VHS-Gebäude kommen konnte und unter den Augen der Polizei auf der Straße wartete.« Und wer waren nun diese dunklen Gestalten? Neonazis? Nein, Antifaschisten, aber das ist ja das Gleiche, oder? Tatsächlich war der Polizeieinsatz weit überzogen - nur 15 bis 20 verlorene Neonazis wurden kurz in der Ferne gesichtet.

Im Zuge der aktuellen Kampagne der NPD »Heimreise statt Einwanderung« wird damit gerechnet, dass auch im Raum Stade/Buxtehude wie in Lüneburg, Braunschweig, Osnabrück und Wilhelmshaven eine Demonstration stattfindet. Zu den Hauptrednern dort gehörte Adolf Dammann. Nach dem gescheiterten Verbot fühlt die Nazi-Nachfolge-Partei sich im Aufwind. Ob jemand sich bereit findet, ihr entgegen zu treten, wird sich weisen.

von Uwe Ruprecht

Uwe Ruprecht (Foto: Barbara Kohnen)
· freier Publizist in Stade ·

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