Besser stellt man sich den Erben Hitlers nicht in den Weg. Man
wird dann nicht von der Polizei beargwöhnt, wird nicht verleumdet und
selbst zur größeren Gefahr erklärt. Gewiss, in Sonntagsreden
macht sich das gut: Kampf dem Rechtsextremismus, Gesicht zeigen, Aufstand
der Anständigen. Sobald es jedoch ernst wird, gehen allzu viele allzu
rasch in Deckung. Und manche fallen denen, die den Kampf aufnehmen, auch
noch in den Rücken.
Aufklärung über Rechtsextremismus war an der Halepaghenschule,
dem Gymnasium von Buxtehude, nicht erwünscht. Eine Gruppe von
SchülerInnen war auf die Idee verfallen, die von der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten VVN-BdA erstellte Ausstellung
über »Neofaschismus in der Bundesrepublik« an ihrer Schule
zu zeigen. Schulleiter, etliche Lehrer und der CDU nahestehende Schüler
waren dagegen. Nicht, dass sie etwas an der Ausstellung auszusetzen gehabt
hätten. Die kannten sie nicht und wollten sie nicht kennen lernen. Es
genügte ihnen, darauf hinzuweisen, dass die VVN-BdA vom Verfassungsschutz
beobachtet wird.
»Die meisten Menschen nehmen die Meinungen an, so wie sie von andern
gemacht worden sind. Der Deutsche geht hierin unbegreiflich weit«, wusste
Georg Christoph Lichtenberg schon vor 230 Jahren. Sich eigene Ansichten zu
ersparen - dafür also wäre der Verfassungsschutz da? Es ist ein
Mythos, dass die Einschätzungen der Behörde fundierter wären,
als was man selbst herausfinden kann; 80 Prozent seiner Erkenntnisse stammen
aus offenen Quellen, aus den Medien und der Wissenschaft. Die bezahlten V-Leute
liefern, was man von ihnen erwartet.
Aus Scheu vor der inhaltlichen Auseinandersetzung versuchte man an der
Halepaghenschule das Projekt am Geld scheitern zu lassen. Die
Schüler-Initiative war indes findig und sammelte Spenden. Notgedrungen
wurde die Ausstellung zugelassen, aber besichtigt werden durfte sie nur unter
Aufsicht, als sei sie eine ansteckende Krankheit. Und das Begleitprogramm
wurde im Gymnasium nicht geduldet, sondern musste in die Volkshochschule
VHS ausweichen. Werbung dafür durfte in der Halepaghenschule erst in
letzter Minute gemacht werden. Auch deshalb fanden nur etwa fünfzehn
Menschen am 12. Januar den Weg zu einer Podiumsdiskussion mit Cornelia Kehrt
von der VVN-BdA aus Hamburg und der Journalistin und Buchautorin Andrea
Röpke, einer der profundesten Kennerinnen der rechten Szene. Von denen,
die die Ausstellung zu verhindern versucht hatten, ließ sich
natürlich niemand blicken.
Eine geplatzte Podiumsdiskussion
Gesicht zeigten dagegen zwei Dutzend Neonazis unter Führung zweier
älterer Herren, die sich als »Köpfe« der »nationalen
Opposition« begreifen. Der eine, Adolf Dammann, Jahrgang 1939, wohnt
im Buxtehuder Stadtteil Neukloster und ist stellvertretender Landesvorsitzender
der niedersächsischen NPD. Ihm gehört die so genannte
»NPD-Scheune« in der Ortsmitte von Bargstedt bei Harsefeld, in
der seit Jahren unangefochten von Bürgern, Politik und Polizei der
Führernachwuchs geschult wird. »Die Menschen in dem kleinen Dorf
haben Angst, immer wieder suchen alkoholisierte Neonazis Dorffeste auf und
fangen Streitereien an«, fand Andrea Röpke heraus.
Gern druckt die Lokalpresse Dammanns Leserbriefe. Zuletzt bot ihm das
Tageblatt am 30. Dezember 2003 ein Forum, um seine Vorstellung von
der jüdischen Weltverschwörung zu verbreiten: »Zwar weiß
jeder gebildete Mensch, dass die bolschewistische Revolution 1917 in Russland
und die anschließenden blutigen Gemetzel ohne Juden kaum stattgefunden
hätten und dass in diesem Sinne natürlich Juden auch "Täter"
waren, doch aussprechen darf man das zwar mit NPD-Parteibuch, aber nicht
mit einem der CDU. Die Bilder glichen sich. War Schily vor seinem Besuch
bei Paul Spiegel 2000 gegen ein NPD-Verbotsverfahren, so war er danach
urplötzlich dafür. War der hessische CDU-Chef Koch gegen den Rauswurf
Hohmanns, so änderte er nach seinem Besuch bei der jüdischen Gemeinde
flugs seine Meinung ins Gegenteil.« Gesellschaft und Politik der
Bundesrepublik sind für Dammann wie die Weimarer Republik für die
Nationalsozialisten »das System«. Er fühlt sich diffamiert
von den »Systemmedien« (zu denen das Tageblatt offenkundig
nicht zählt), verfolgt von »Systemschergen«, von »volks-
und verfassungsfeindlichen Elementen«.
Adolf Dammann (Mitte) auf einer NPD-Kundgebung in Rotenburg/Wümme am
13. März 2004
In die VHS mitgebracht hatte Dammann Dr. Reinhold Oberlercher aus Hamburg,
Jahrgang 1943, der gemeinsam mit Horst Mahler das »Deutsche Kolleg«
betreibt, das sich »als Denkorgan des Deutschen Reichs« versteht.
Oberlercher ist Mit-Autor eines »Regierungsprogramms für das Vierte
Reich«, mit dem das »völkerrechtswidrige Reichs- und
Volksvernichtungsregime BRD« abgelöst werden soll. In dem von ihm
erträumten Kaiserreich mit den »Hauptorten« Berlin, Wien,
Zürich und Rotterdam sollen Parteien verboten sein. Am Computer allerdings
kann das »Reichsvolk« an der politischen Willensbildung teilnehmen,
denn »die elektronische Kommunikationstechnik ermöglicht die
Wiederbelebung des germanischen Things«. Weiterhin soll es
»Reichsarbeitsdienst« geben, einen »Reichsherold«, der
die Publizistik beherrscht, und »Reichsreliquien«, denen
»Herzöge und Gaufürsten« zu huldigen hätten.
Die Neonazis machten sich anheischig, die Veranstaltung zu übernehmen.
Sie reklamierten die Freiheit der Meinungsäußerung für sich,
die sie mit gegebenenfalls blutigen Mitteln abzuschaffen bereit sind. Einer
der Jungen hielt es für angezeigt, klarzustellen: »Ich kein Faschist,
ich bin ein Nationalsozialist.« Kann man über Neofaschismus diskutieren
mit jemandem, der sich als Anhänger eines Verbrecherstaats zu erkennen
gibt? Nein, entschieden die veranstaltenden SchülerInnen und die
Podiumsteilnehmerinnen.
Vergeblich versuchte der VHS-Leiter, sein Hausrecht durchzusetzen. Freiwillig
wollten Hitlers Erben nicht gehen. Das telefonisch alarmierte Polizeirevier
reagierte ebenso wenig wie die mit mehreren Beamten vertretene
Staatsschutz-Abteilung der Polizei. Diese waren auf Grund einer konkreten
Warnung vor Ort. Davon hatten sie zwar den Leiter der VHS und den Leiter
der Halepaghenschule informiert; man hatte beisammen gesessen und palavert
- aber keiner der Herren hatte es für nötig erachtet, den
SchülerInnen als Veranstalter ein Sterbenswort zu sagen, die mithin
vom Auftauchen der Neonazis überrumpelt wurden. Statt seines Amtes zu
walten fiel der Einsatzleiter der politischen Polizisten aus der Rolle und
forderte das Podium in einer langen Rede auf, mit den Neonazis Meinungen
auszutauschen. Um die absehbare Eskalation zur Gewalt zu vermeiden, wurde
die Veranstaltung aufgelöst.
Die Neonazis verteilten noch rasch ein Flugblatt, in dem sie namentlich benannten
Personen aus der Region »Menschenjagd« vorwarfen. Die Störung
war offenbar Teil einer Strategie gemeinsamer Aktionen von Freien Kameradschaften
und der Jungen Nationaldemokraten JN, der Jugendorganisation der NPD, die
sich Schulen zum Ziel nimmt. Die »Schuloffensive der JN« - »Den
Nationalismus in die Schulen tragen« ist im Raum Verden unlängst
durchgestartet. Von dort stammt auch der Unterzeichner des besagten Flugblatts.
Für den am nächsten Abend am gleichem Ort vorgesehenen Vortrag
über »Neofaschismus im Landkreis Stade« kündigten die
Rechten ihre Rückkehr an. Auf mehreren Internet-Seiten der rechten Szene
wurde der Auftritt in Buxtehude als Sieg über die »Antifanten«
gefeiert. Am nächsten Abend erschienen rund sechzig SchülerInnen
und einige Lehrer vor der VHS. Ein Trupp von zehn Neonazis zog wieder ab.
Die Veranstaltung fiel trotzdem aus.
Schäbige Reaktionen
Auch der letzte öffentliche Besichtigungstermin für die Ausstellung
in der Halepaghenschule am 16. Februar wurde abgesagt. Der Staatsschutz hatte
die Tartarenmeldung in die Welt gesetzt, Neonazis würden dort auftauchen.
Der Schulleiter fand es nicht angezeigt, ihnen entgegen zu treten, sondern
hielt es für opportun, ihnen freiwillig das Feld zu überlassen.
Er befürchte, erklärte er, seine SchülerInnen könnten
den Neonazis entgegen treten. Und das durfte natürlich auf keinen Fall
geschehen. Kein Rechter ließ sich blicken. So bekamen Dammann und Co.
diesen billigen Sieg gar nicht mit.
Der Leiter der Halepaghenschule hielt es für angezeigt, sich in einem
Schreiben »für die hervorragende Betreuung durch die eingesetzten
Polizeibeamten« zu bedanken - bei einer Veranstaltung, bei er wohlgemerkt
nicht zugegen war. »Er bedankt sich bei den namentlich aufgeführten
Beamten und weist darauf hin, dass die von den Staatsschutzbeamten verfolgte
deeskalierende Zielrichtung - entgegen einzelner gegenteiliger öffentlicher
Meinungsäußerungen - dort eine breite Zustimmung gefunden hat«,
heißt es in einer Antwort des niedersächsischen Innenministeriums
auf eine Anfrage zweier Abgeordneter der Grünen.
Adolf Dammann träumt von der Machtübernahme. Und er vergisst nicht,
bei jeder passenden Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass er sich die Namen
derjenigen vormerkt, die ihm Widerstand geleistet haben. Die Namen der
SchülerInnen, die die Ausstellung organisiert hatten, wurden vom
»Aktionsbüro Norddeutschland« im Internet veröffentlicht.
Ihr Schulleiter verweigerte ihnen Unterstützung oder Schutz. Er steht
nicht auf Dammanns schwarzer Liste. So wenig wie die ausgewogene Redaktion
des Tageblatts, das ebenso breit über die geplatzte Podiumsdiskussion
berichtete wie es dem NPD-Umfeld seine Leserbriefspalten zur Verfügung
stellte, um den Sieg über die Verfechter des »Systems«
auszukosten.
Die schäbigste Reaktion leistete sich der Kreisverband der Jungen Union.
Heuchlerisch lobte der CDU-Nachwuchs in einer Presseerklärung das Engagement
gegen Rechts, um dann Neofaschisten und Antifaschisten gleich zu setzen:
»Beide haben zum Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu
zerstören.« Kenner der rechten Szene waren von dem massiven Auftreten
der Neonazis in Buxtehude überrascht. Nicht dagegen die Besserwisser
der JU: »In den Augen von rechten Aktivisten ist die Mitwirkung des
links gerichteten VVN/BdA Grund genug, eine Veranstaltung (...) zu stören.
Mit einer Gegenreaktion der Rechten war also zu rechnen.« Demnach
wären die Neonazis still geblieben, wenn eine andere Organisation über
ihr Treiben hätte aufklären wollen? Am 2. November 2001 protestierte
der NPD-Nachwuchs JN, zu deren Führung die Tochter von Adolf Dammann
gehört, bei der Eröffnung der vom Verfassungsschutz erarbeiteten
Ausstellung »Demokratie gegen Rechtsextremismus« in Buxtehude.
Der Bundesgeschäftsführer der NPD zieht im Internet diese Bilanz
der Buxtehuder Vorkommnisse: »Es sollte jeden (sic!) Aktivisten Mut
machen, zukünftig immer auf ähnlichen Veranstaltungen Gesicht zu
zeigen(,) um so die Volksverhetzer in der Öffentlichkeit
vorzuführen.« »National befreite Zonen« soll es nicht
nur im Osten der Republik geben. Auch rund um Buxtehude ist man dazu längst
am Werk.
»Rechte und linke Chaoten«
In der Aula der Halepaghenschule berichtete am 20. Januar die
Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano über ihre Leiden während
des Dritten Reichs. Damit hatte die Schulleitung kein Problem. Das ist
schließlich Geschichte. Vor den gegenwärtigen Anstrengungen, ein
Viertes Reich zu errichten, verschließt man dagegen die Augen. Am 31.
Januar geriet Esther Bejarano ins Visier der Wasserwerfer der Hamburger Polizei.
Während tausend Neonazis ungestört gegen die Ausstellung über
die Verbrechen der Wehrmacht demonstrieren konnten, wurde die Gegendemonstration
von der Polizei aufgelöst.
Vortrag in der Volkshochschule Buxtehude am 16. Februar 2004
Der abgesagte Vortrag über die rechten Strukturen im Landkreis Stade
wurde am 16. Februar in der VHS nachgeholt. Vor rund 140 Menschen zeigte
Michael Quelle von der VVN-BdA auf, wie aktiv die Neonazis in der Region
sind. Über deren Straftaten wird nur ausnahmsweise in der Presse berichtet.
Von den fünf Gewaltakten, die eine Statistik des Landeskriminalamtes
für 2001 ausweist, wurde keiner öffentlich bekannt. Eine Statistik
für die anderen Jahre gibt es gar nicht. Die Polizeiinspektion in Stade
schlüsselt zwar in ihren jährlichen öffentlich vorgestellten
Statistiken Ausländer- oder Jugendkriminalität auf; Delikte mit
rechtem Hintergrund werden wohl gesondert erfasst, aber nicht als solche
vermeldet. Allein in einer von der VVN-BdA erstellten Chronologie rechtsextremer
Aktivitäten werden die verfügbaren Daten gesammelt und publik gemacht.
Eine Hundertschaft Polizisten patrouillierte rund um den Veranstaltungsort.
»Eine kluge Einsatzstrategie der Polizei verhinderte am Montagabend
die Eskalation zwischen rechten und linken Chaoten vor der Buxtehuder
Volkshochschule«, berichtete das Tageblatt. Moment, da stimmt
doch was nicht. Was für »linke Chaoten«? Die Antifa-Gruppen,
die vorsorglich Präsenz zeigten, nachdem die Polizei zuvor kläglich
versagt hatte? »Als gegen 19 Uhr der Vortragssaal der VHS voll besetzt
war«, so das Tageblatt weiter, »rückten die ersten
Polizeifahrzeuge in der Bertha-von-Suttner-Allee an, denn auf den
Einfahrtstraßen Buxtehudes waren "verdächtige" Fahrzeuge aufgetaucht,
die wenig später tatsächlich vor der VHS gesichtet wurden - mit
dunkel gekleideten Personen in Fahrzeugen aus Delmenhorst, Cuxhaven und Hamburg.
Sie gesellten sich zu dem Trupp der wegen des überfüllten Saals
gar nicht erst ins VHS-Gebäude kommen konnte und unter den Augen der
Polizei auf der Straße wartete.« Und wer waren nun diese dunklen
Gestalten? Neonazis? Nein, Antifaschisten, aber das ist ja das Gleiche, oder?
Tatsächlich war der Polizeieinsatz weit überzogen - nur 15 bis
20 verlorene Neonazis wurden kurz in der Ferne gesichtet.
Im Zuge der aktuellen Kampagne der NPD »Heimreise statt Einwanderung«
wird damit gerechnet, dass auch im Raum Stade/Buxtehude wie in Lüneburg,
Braunschweig, Osnabrück und Wilhelmshaven eine Demonstration stattfindet.
Zu den Hauptrednern dort gehörte Adolf Dammann. Nach dem gescheiterten
Verbot fühlt die Nazi-Nachfolge-Partei sich im Aufwind. Ob jemand sich
bereit findet, ihr entgegen zu treten, wird sich weisen.
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