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Auf alle Fälle ehrenwert

In Buxtehude werden Kriegsverbrecher für etwas gerühmt, das sie vielleicht nie getan haben

von Uwe Ruprecht, Buxtehude

Wie Geschichtsfälschung funktioniert, lässt sich derzeit in der Kleinstadt Buxtehude bei Hamburg studieren. Am 9. Mai vorigen Jahres wurde auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne ein Gedenkstein enthüllt, der an die angebliche kampflose Übergabe der Stadt an die Briten am 22. April 1945 erinnerte und vier Offiziere namentlich verzeichnete. Schon zur Einweihung war bekannt, dass zwei der Geehrten Kriegsverbrecher waren.

Alexander Magnus soll an der Deportation von Juden aus Korfu beteiligt gewesen sein. Sicher ist, dass er exakt 59 Jahre vor seiner Huldigung, am 9. Mai 1944, in Patras zehn gefangene griechische Zivilisten erhängen ließ als »Sühnemaßnahme« für einen Partisanenüberfall. Siegfried Engel war als »2. Admiral der Nordsee« verantwortlich für wenigstens 54 Todesurteile gegen Deserteure am Marinegericht in Wilhelmshaven. Im Urteil gegen den 30-jährigen Marinesoldaten Heinrich Schoon, das am 16. März 1945 verhängt wurde, äußerte Engel zwar Bedenken gegen die »Feststellung der Fahnenflucht«, fand diese aber »nicht ausschlaggebend«. »Bei der wiederholten Straffälligkeit des Angeklagten« befand der Admiral, »verdient dieser keine Gnade.« Am 27. April wurde Schoon erschossen - nachdem Engel selbst in Buxtehude durch die Kapitulation von der Fahne geflohen sein soll.

Nach kurzer aber heftiger öffentlicher Diskussion wurde die Plakette mit den Namen von Magnus und Engel heimlich entfernt. Jetzt beschloss ein nicht-öffentlich tagender Ausschuss des Stadtrats eine neue Inschrift, ohne Namen: »Am 22. April 1945 ging für Buxtehude der Zweite Weltkrieg zu Ende. An diesem Tag wurden die Estetalkaserne und die Stadt kampflos den britischen Truppen übergeben. Dadurch wurden der Tod von Menschen und Zerstörungen verhindert.«

Die Tat der Offiziere soll also auf jeden Fall ehrenwert gewesen sein. Tatsächlich sind die Vorgänge um das Kriegsende in der Stadt nicht einmal ansatzweise erforscht. Der Gedenkstein erinnert an ein Ereignis, von dem lediglich widersprüchliche Aussagen beteiligter Offiziere selbst und Gerüchte überliefert sind.

Wer hätte denn damals den »Tod von Menschen und Zerstörungen« verursacht? Die deutschen oder die britischen Streitkräfte? Die vorliegenden Zeugnisse der Vorgänge enthalten Hinweise, dass die Übergabe keineswegs kampflos vonstatten ging. Vielmehr scheint die Wehrmacht Kampfstellungen bezogen und sich Schießereien mit der britischen Armee geliefert zu haben. Erst der Aufmarsch einer überwältigenden Übermacht der Briten erzwang die Aufgabe. Eine Einheit von Kindern der Hitler-Jugend könnte noch zum Einsatz gekommen sein.

Gründliche Recherchen könnten das Ereignis aufklären, dem vermeintlich gedacht wird. Doch davor hütet man sich in Buxtehude. Schließlich geht es nicht um die Erinnerung an Geschichte, sondern um Politik mit Geschichte. Darum, Wehrmachtssoldaten der letzten Stunde zu Helden zu erklären, namentlich oder nicht.

Zum Freundeskreis der Initiatoren des Gedenksteins gehört Gerd Schultze-Rhonhof, Generalmajor a. D. der Buxtehuder Garnison. Er wurde bundesweit bekannt, als er das Bundesverfassungsgericht kritisierte, das den Tucholsky-Satz »Soldaten sind Mörder« unter den Schutz der Meinungsfreiheit stellte, und daraufhin in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet wurde. Zuletzt veröffentlichte der Autor der »Jungen Freiheit" und des »Ostpreußenblatts« das Buch »Der Krieg, der viele Väter hatte«, in dem die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geleugnet wird.

Neues Deutschland 22. Januar 2004